Zwischen Scherz und Todesschmerz

*PENG!*

Eine aus Angst und Terror geladene Spannung überschüttet den Zuschauerraum, zusammenzuckend und zappelnd nach Luft ringend wird hier der Körper sowohl wahrgenommen als auch transformiert; eine geteilte Zuschauererfahrung, die sich durch die ganze Performance zieht. Ausgelöst wird diese erhöhte Zeugenschaft durch eine große Trommel, auf die der Musiker unerwartet, gnadenlos, schlägt.

Und trotzdem –

trotzdem wird diese Spannung immer wieder durch Humor und taktvolle Erleichterungsanekdoten abgebrochen, nur um von Neuem aufgebaut zu werden, sodass wir uns nicht mehr in einer sicheren Umgebung aufgehoben fühlen, sodass wir panisch versuchen, die Bewegungen der schlagenden Hand mitzuverfolgen, sodass wir es trotz Achtsamkeit und erhöhter existenzieller Alarmiertheit nicht schaffen, jene Körperreaktionen zu kontrollieren, ja sogar zu verhindern.

Denn –

der dröhnende Rausch der Trommel kriecht unter die Haut; vergebens  kann man sich gegen solch eine eindringliche Erfahrung widersetzen, auch wenn man die gesamte Zeit darauf achtet, wann der nächste Schlag nun kommt.

Und er kommt –

jedes Mal ohne Vorwarnung, ohne Vorschau, und auch wenn man ihn kommen sieht, stolpert der Körper darüber: Spannung, Dysphorie, Wachsamkeit. Zustände, die bis zum Ende der Performance in uns verweilen, trotz der vielen Brüche.

„Under the Flesh“, eine Mischung aus Tanz- und Erzähltheater des libanesischen Choreographen und zugleich Hauptdarstellers Bassam Abou Diab, erzählt von Bassams Erfahrungen mit im Libanon geführten Kriegen und davon, wie er sich durch Tanz den Kriegsbomben gestellt hat. Neben Bassam befinden sich zwei weitere Figuren auf der Bühne: der Musiker mit zwei Trommeln – eine kleine feierlich ausklingelnde und eine enorme Bombengeräusch erzeugende Trommel – und ein Übersetzer, der in dieser Inszenierung eine vielschichtige Haltung einnimmt.

Der Zuschauerraum ist durchgehend beleuchtet. Bassam adressiert und redet mit dem Publikum, humorvoll, ja ironisch über die vier Kriege, in denen den Libanes*innen je eine andere Bombenart vorgestellt wurde. 1993 lernt er zum ersten Mal, wie man einen Bombenanschlag überlebt: Man gibt dem Bombenaufprall nach, lässt sich wegstoßen, rollt mit der Kraft der Bombe auf dem Boden bis man wieder aufstehen kann. Er demonstriert das Erzählte anhand eng mit dem Boden arbeitenden Bewegungsabläufen, die an zeitgenössischen Tanz erinnern. „Das ist der Moment, an dem ich zum Superman der arabischen Welt wurde.“ 1996: Der Krieg kommt zurück, diesmal zeigt er, wie man Granatsplittern entkommt. Er freut sich, denn er hat die Bomben vermisst, zum Tanzen hätten sie ihn bewegt,  und zu Superman gemacht! 2000 war das beste Kriegsjahr überhaupt, denn da bekam Libanon Geschenke von der EU: Adidas, Nike, Reebok. Er selbst trägt eine Adidasjacke, jedoch keine Schuhe. Er erklärt, dass er sich bereits auf den nächsten Krieg freut, weil er unbedingt neue braucht. Vom Krieg 2006 erzählt er strahlend, dass er gerne seine Mutter verloren hätte, um noch mehr und schönere Geschenke zu bekommen.

Aber das Satirisch-Ironische ist nicht die einzige Ebene, mit der Bassam die Spannung aufzubrechen und den Abend zu lockern versucht. Feierliche libanesische und ägyptische Musik sowie volkstümlicher Tanz werden zur Feier des Kriegsendes vorgetragen. Mit den Hüften wird gewackelt, mit dem Bauch geraschelt, Füße stampfen, Arme schwingen. Untypisch männlich zeigt Bassam auch eine traditionell weibliche Feiergeste (Zaghrouta!): ein lautes, schrilles Geräusch, das durch das Schwingen der Zunge im Mund erzeugt wird. In diesem Moment wird klar, dass er das Gemeinschaftsgefühl in einer festlichen Situation rekonstruiert, indem er – typisch weibliche und männliche – Bewegungen demonstriert und ineinander verwebt. Eine Ebene der Repräsentation wird damit eingeführt, ohne von sozialen, nationalen oder ökonomischen Faktoren zu unterscheiden.

Humor ist eine geteilte Erfahrung

Weiter geht es mit der Ebene der kritischen Diskrepanz, die aus der Übersetzungsfigur hervorstoßt: Zwar übersetzt Zein Wort für Wort, was dem Publikum inhaltlich mitgeteilt wird, dennoch wird eine zusätzliche Botschaft vermittelt, da sein Tonfall mitunter kritisch und distanziert wirkt. Daraus wird auch die Spannung gelöst und ein Lachen breitet sich im Zuschauerraum aus. Diese Ebene wirft somit die Frage auf, inwiefern sich eine Erfahrung übersetzen lassen kann und wie viel in der Sprachdiskrepanz verloren geht. Das wird auch durch den unsicheren Tonfall und die manchmal langen Pausen des Übersetzers zum Ausdruck gebracht.

Humor ist eine geteilte Erfahrung, die aus einem spezifischen Gemeinschaftsgefühl entsteht. Auf dieser Austauschebene wird das (Mit-) Geteilte in Frage gestellt, weil die nonverbale Haltung des Übersetzers unsicher macht, wie man diese Information zu verstehen und zu verarbeiten hat. Da fragt man sich: worüber lacht das Publikum? Über die ironisch verpackte Botschaft selbst oder über die nonverbalen Kommentare des Übersetzers; über die erzeugte Trommelspannung oder über deren Auflösung? Mit den verschiedenen Ebenen des Austauschs wird experimentiert, die Trägheit des Mitgeteilten wird durch Spannung, Erleichterung und Humor immer wieder im Zusammenspiel ausgetragen und aufgelöst.

Im Grunde wird das Ganze durch Dilettantismus zusammengehalten: Der Übersetzer stolpert über seine eigene Übersetzung. Der Trommler lacht die Zuschauer*innen an, fällt aus der Rolle und beruhigt mit den Worten „Keine Sorge, ich schlag‘ das Ding noch nicht! Entspannt euch.“

Ob das nun gewollt ist oder Verpfuschung macht keinen Unterschied. Denn es schafft ein Zusammenspiel aus vorhergehender Sicherheit, Erleichterung, Humor und der Schreck als konstant herrschender Fluchtmodus, der auf Ewigkeit in den Körpern derer einprogrammiert ist, die in Kriegs- und Krisengebieten leben oder gelebt haben. Das Gefühl wurde hervorragend durch den Dilettantismus, Spannungsaufbruch und Humortaktiken bzw. Bruchebenen, an uns weitervermittelt; eine Kostprobe dessen, was es heißt, Freude am Leben zu finden, trotz Gefahr und Angst, glücklicherweise in nur 30 Minuten verpackt.

Eine Minute länger hätte der Zuschauerraum es kaum überlebt.