Ein Spiel, das einfach nicht aufhören will: Yolanda Morales verwandelt die Bühne mit ihrer Performance 2666 in ein patriarchales, dystopisches Spielfeld, das nicht weit von der Realität entfernt ist.

Der Live-Stream lädt: Drei Körper betreten die Leinwand, die Bühne. Drei Körper stehen erst still – Stimme aus dem Off: „choose your player“ – dann kommt Bewegung. Drei Körper bewegen sich auf der Leinwand – unser Blick, der Blick der Zuschauenden, kann nicht umherschweifen, kann sich keine Zeit lassen, er kann sich nicht ausruhen – der Blick wird von einer Kamera geführt und wir folgen Ihm. Die Kameraführung überlässt unseren Blick keinem Zufall: Mal sind wir ganz nah dran an den Tänzer*innen, dann verschwinden sie aus unserem Blickfeld und tauchen im Dunkeln unter.
Die Performance 2666 von Yolanda Morales ist ein Spiel – ein Spiel mit den Körpern und durch die Körper der Tänzer*innen (Yolanda Morales, Damini Gairola, Sujin Lee). 2666 Sekunden, in Anlehnung an den gleichnamigen Roman von Roberto Bolaño, in dem sich der Autor mit Femiziden in Mexiko beschäftigt, bewegen sich die drei Tänzer*innen auf der Bühne und werden zu Game-Charakteren, welche sich zwischen Licht und Schatten bewegen, im Dunkeln verschwinden und wieder auftauchen. Ziel: überleben. Die Choreografie von Yolanda Morales lässt dabei keine Zeit für Pausen, keine Zeit für ein Ausruhen der Tänzer*innen, für ein Aufatmen der Zuschauenden – wer spielt, muss sich bewegen und das Spiel endet erst, wenn sich keine*r mehr bewegt. Der Spielcharakter wird durch die Beleuchtung der Bühne noch hervorgehoben: durch das Licht wird die Bühne als Spielfeld inszeniert. Zwei hell belichtete Linien bilden den Rahmen des Spiels auf der Bühne, die Tänzer*innen bewegen sich in diesem Teil der Bühne mit kleinen, schnellen Schritten und verschwinden zeitweise im Dunkeln – durch den Blick auf eine Leinwand wird dieses Verschwinden noch deutlicher markiert: Mensch sieht die Personen wirklich nicht mehr, solange sie im Dunkeln sind. Der Gaming-Charakter der Performance verstärkt sich durch die Kameraführung und die Verlagerung der Performance in den digitalen Raum: Bald erscheinen einem die Personen nicht mehr als reale Menschen, sondern mehr als Charaktere aus einem Online-Spiel. Als die Internetverbindung dann auch noch hängt, und auf der Leinwand ein Ladezeichen erscheint (ganz nach dem Motto: the game is loading – 99 %) ist der Spiel-Charakter nicht mehr wegzudenken.
Spätestens wenn der Satz „Please call me back as soon as you get this“ aus dem Off ertönt, wird einigen Menschen klar werden, dass es hier nicht nur um ein Spiel im digitalen Raum geht, sondern um eine Realität, die weiblich gelesene Personen, Frauen und queere Menschen teilen – die Realität der Femizide, der strukturellen Gewalt an Frauen, weiblich gelesenen und queeren Menschen. Das Verschwinden im Schatten der Bühne führt zu einem Moment des Fragens: Schafft die Tänzerin es wieder raus, ins Licht? Sehen wir sie gleich wieder? Und dann das Auftauchen, das kurze Aufatmen – sie ist noch da. Wie das Aufatmen, wenn mensch nachts nachhause läuft, den Schlüssel in der einen, das Handy in der anderen Hand – bereit und dann endlich zuhause, Licht an. Aber auch das Zuhause ist nicht für alle Menschen ein sicherer Raum, der uns schützt: häusliche Gewalt von Partner*innen und/oder Familienmitgliedern ist ebenfalls ein sehr reales Problem, welches gerade auch jetzt zu Zeiten der Pandemie zugenommen hat.

Yolanda Morales‘ Performance 2666 fühlt sich an wie eine Dystopie, aus der keine*r herauskommt – ein Spiel, das einfach nicht aufhören will. Yolanda Morales zeigt aber auch auf, dass Dystopie und Realität hier sehr nah beieinander liegen. Denn Femizide und strukturelle Gewalt sind ganz reale Probleme: Wie können wir ein System überwinden, welches strukturell Gewalt an Gruppen ausübt? Wie können wir uns gegenseitig empowern, uns solidarisch zeigen? Wie können wir Räume erschaffen, die uns ein Gefühl der Sicherheit geben?
Die Performance wirft mehr Fragen auf, als dass sie Antworten liefert. Vielleicht liegt aber auch genau darin ihre Kraft: Um aus einem System auszubrechen, welches strukturelle Gewalt gegenüber bestimmten Körpern befördert, müssen wir genau dieses System hinterfragen und uns dieses Systems auch bewusst werden. Dass die Tänzer*innen dem (Spiel-)System am Ende erliegen, hinterlässt einen bitteren Beigeschmack: Die Körper haben gemeinsam Bewegungsabläufe erarbeitet, um sich gegen das Spiel zur Wehr zu setzen. Und am Ende gewinnt doch das Spiel – oder?
Lea Terlau
Eine weitere Besprechung zu dem Stück gibt es hier von Lina Kordes.
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