Solveig Hörters Zoom-Performance Look at Me! macht das Publikum zu Entscheider*innen über den Ausgang. Unsere Autorin hat sich dabei besonders in einer Abstimmung zwischen Schnaps, Wurst und Nachktheit unwohl gefühlt.

Solveig Hörters Look at Me! war meine erste Zoom-Performance. Und hat gleich auch ein kleines Gefühlschaos in mir ausgelöst. Für Look at Me! hat Solveig Beteiligte aus früheren Produktionen um Aufgaben gebeten – darum, Solveig zu inszenieren. Eine dieser Szenen ist mir besonders in Erinnerung geblieben: ein Treffen mit einer Metzgerin in einem leeren Raum, das wir live auf der Videokonferenzplattform miterlebt haben.
Die Metzgerin betritt den Raum und nimmt stumm ihren Platz links von Solveig ein. Die Blicke starr in die Kamera gerichtet, tippt Solveig etwas in den Zoom-Chat. Dann bekommt das Publikum die Entscheidungsgewalt. Wir sollen darüber abstimmen, was Solveig und die Metzgerin als Nächstes tun. Zur Auswahl stehen: einen Schnaps trinken, eine Wurst essen, sich auf die Wange küssen (trotz Corona) oder sich nackt ausziehen. Ehrlich gesagt, mir sind alle Optionen unangenehm.
Ich möchte ihnen bei keiner dieser Aktivitäten zusehen – und sie erst recht nicht unter Druck setzen. Was mache ich also? Ich stimme für den Schnaps. Das erscheint mir am erträglichsten und den meisten anderen auch: Schnaps gewinnt die Wahl, Solveig und die Metzgerin akzeptieren wortlos und trinken.
Erleichtert freue ich mich auf den nächsten Teil der Performance. Aber Solveig hat andere Pläne, und wir stehen direkt wieder vor den gleichen vier Auswahlmöglichkeiten. Ich entscheide mich diesmal für „Wurst essen“. Wieder gehöre ich damit zur Mehrheit. Menschen dabei zuzusehen, wie sie eine Wurst essen, ist übrigens kein sonderlich erfreulicher Anblick. Besonders, wenn sie es so still und starr dreinschauend tun.
Ich frage mich, ob es gleich wieder eine Abstimmung geben wird. Aber eigentlich weiß ich es schon. Es wirkt schließlich nicht so, als hätte Solveig vor, allzu bald zum nächsten Teil der Performance überzugehen. Vielleicht habe ich gar keine wirkliche Wahl, und es wird einfach so lange abgestimmt, bis alle das vorgesehene Ziel begriffen haben.
Obwohl ich nun aktiver Teil der Performance bin, weiß ich nicht, welchen Part ich darin spiele. Die Entscheidungsgewalt zu haben, fühlt sich irgendwie groß an. Aber ob mir das gefällt? So richtig weiß ich es nicht. Ich wurde hier schließlich nur hineingeworfen. Ich kenne die Konsequenzen meiner Entscheidungen nicht. Wie so oft im echten Leben, denke ich.
Ich spekuliere: Schnaps und Wurst haben scheinbar keinen großen Einfluss auf den Verlauf der Performance. Außer sie in die Länge zu ziehen. Sich trotz Corona auf die Wange zu küssen, erscheint mir zwar auch nicht gerade wie eine prickelnde Option, aber auch nicht wie etwas, das Solveig und die Metzgerin nicht sofort mit voller Ernsthaftigkeit machen würden.
Also muss es das „nackt ausziehen“ sein, was uns zum Ende führt. Jedenfalls hoffe ich das, denn mittlerweile finde ich alles sehr unangenehm und würde mir wünschen, zum nächsten Punkt übergehen zu können. Also wähle ich eben „nackt ausziehen“. Ich fühle mich unwohl dabei, aber ohne Grund werden all diese Optionen ja auch nicht dort stehen. Doch diese Abstimmung verliere ich: Gewählt wird der Schnaps. Und das mulmige Gefühl vom Anfang kehrt zurück.
Wie es wohl den anderen Zuschauenden geht? In digitalen Formaten muss ich mich allein mit meinen Gefühlen auseinandersetzen. Ich kann nicht rüber schauen, ob die Frau neben mir ein Tränchen verdrückt, oder hören, ob jemand hinter mir schwer atmet.
Doch die vierte Abstimmung lässt mich immerhin vermuten, dass ich wahrscheinlich nicht alleine bin mit meinen Überlegungen, und diesmal gewinnt das Ausziehen. Die Metzgerin steht auf und verlässt das Zimmer, Solveig verdeckt die Kamera. Eine einfache Lösung, denke ich mir. Das hätte von mir aus auch schon früher passieren können.
Lina Kordes
Illustration: Mareike Rabea Knevels
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