Und wenn sie nicht gegangen sind, dann stehen sie noch heute

Bei Still Standing ist der Filmtitel Programm: Das Duo Locu&Ruth steht herum. 20 Minuten lang. Unsere Autorin hat ihre Eindrücke auf ein digitales, filmisches Stillleben festgehalten.

Vor Absperrbändern stehen sie, vor Polizist*innen, auf Demonstrationen, in einer Menschenmenge. Um sie herum ist meist Getümmel, manchmal auch eine unendliche Weite. Und immer wieder zwei Augenpaare, die wirken, als wenn sie mich durch den Bildschirm hindurch anschauen würden. Wie aus der Zeit gefallen, manchmal auffällig bunt gekleidet, im Kontrast zum satten Grün der Wiese oder den grauen Autobahnstrecken, stehen sie da. Und tun: nichts.

Ich ertappe mich dabei, wie ich mir die Konfrontation wünsche, auf die Momente zaghaft hinfiebere. Eine Passantin dreht sich verstohlen nach den beiden um. Ihre Körpersprache sagt: Bin ich im falschen Film? Nein, du bist bei Still Standing.

Da Still Standing aus keiner linearen Handlung besteht, sondern aus einer Aneinanderreihung unterschiedlicher Außenmotive, vor denen Locu&Ruth stehen, schweifen die Gedanken beim Zuschauen ab. War nicht das ganze Jahr 2020 ein einziges Still Standing, ist nicht jede Quarantäne ein Still Standing? Man steht herum, kommt nicht voran, harrt aus, was immer es zu ausharren gilt, aber die Welt dreht sich trotzdem weiter. 

Daher ist es besonders, wie es Still Standing gelingt, den Fokus der Inszenierung ganz auf die zwei herumstehenden Protagonist*innen zu legen, und gleichzeitig irgendwann alles Alltägliche um sie herum wieder neu entdecken zu lassen: wie der Busfahrer die Türen öffnet, wie ein Baum nach dem Fällen umkippt, wie Fußgänger*innen durch das Bild laufen. Alles, was nicht stehen bleibt, wird beim Zuschauen für mich spannend. Still Standing ist für mich ein Film über Auszeit, über das Zur-Ruhe-Kommen. Und sich aktiv die Zeit zu nehmen, einfach mal stehen zu bleiben. 

Julia Gudi