Kurz vor der letzten Vorstellung des OUTNOW!-Festivals 2019 peitscht der Regen aufs Asphalt. Unsere Autorin lässt sich davon nicht aufhalten und wird Zeuge einer bestechend simplen Tanzperformance, deren kraftvolle Körperlichkeit ansteckend ist.
Alle paar Minuten verschwinden Besucher*innen im Grau des Regens. Nur das Dröhnen des Basses dringt zu den Verbliebenen durch. Mit viel Verspätung gelangen auch die Letzten durch den Hauptausgang, einmal rechts um den alten Saal zu einer Hintertür und dadurch ins hämmernde Zentrum der kommenden halben Stunde. Durch die Umkehrung der Räumlichkeiten gelingt es Gloria Höckner, Choreografin der Performance, diese von Anfang an als alltagsdistanziertes Ereignis auszustellen und dadurch eine Art Gemeinde zu generieren, welche gefesselt den Bewegungen der Tänzer*innen folgt.
Teresa Hoffmann, Gloria Höckner und Marc Carrera, alle in markengleichen weißen Turnschuhen, verkörpern den mitreißenden Beat beharrlich in simplen, aber wirkungsstarken Tanzformen aus dem Hardcore Techno (namentlich »Melbourne Shuffle« und »Krochen«). Dabei erinnern nicht nur die Kostüme an Oskar Schlemmers triadisches Ballett: Die Dreiklänge Gelb-Rot-Blau und Dreieck-Quadrat-Kreis fließen in Höhe, Tiefe und Breite des Raums formal-ästhetisch in- und auseinander. Obwohl Glöckner ihre Choreografie aus Untersuchungen aktueller Technoszenen entwickelt hat, stellt der Abend vor allem die Ästhetik der Tanzformen im Raum aus. Die Schritte selbst werden zu Akteuren und bilden ein eigenes Vokabular. Dem wird ausreichend Raum gegeben, wenn zunächst nur der Trittschall den Rhythmus des Abends einführt. Drei Körper, in einer sich allmählich aufbauenden Choreografie, erschaffen ein flimmerndes Gefüge, das die Kreuzspiel-Arbeiten von Ludwig Hirschfeld-Mack aufleben lassen. Der Umgang mit dem Raum dagegen entspricht Schlemmers Stab- und Reifentanz. Sowohl die Arbeiten der Bauhausmeister wie auch Glöckners Inszenierung schaffen einen vielfältigen Wirkungsraum, in dem, wie Schlemmer sagen würde, die Zahl Drei Individuum und Dualität überwindet und das Kollektiv beginnt.
Spätestens wenn Hoffmann, Höckner und Carrera – fortwährend im Takt der Musik – weite Kreise im Raum ziehen, sieht und hört man ihre körperliche Erschöpfung. Das kann irritieren – doch selbst wer sich dem trommelnden Rhythmus, der unausweichlich im eigenen Körper resoniert, nicht öffnet, muss die außerordentliche vitale Leistung der Tänzer*innen anerkennen. »Hard Cores in Soft Shells« verzichtet auf große Gesten, beweist dafür eine Liebe zum Detail in der Bewegung, würzt diese mit bekannten Referenzen und schafft damit einen gelungenen Abschluss des viertägigen OUTNOW!-Festivals 2019.
Beitragsbild (c) Sarah Kailuweit