Sorgenfrei wohnen!

Es war eines der ambitioniertesten Experimente des Festivals: Sechs Monate lang beherbergte das Haus Sorgenfrei in unmittelbarer Nachbarschaft des Klinikums Bremen-Mitte Performances, Installationen und Videoarbeiten. Darunter auch ein künstlerisches Wohnprojekt, dessen Ergebnisse während OUTNOW! vorgestellt wurden. Unsere Autorinnen haben geklingelt.

VON KATHARINA MÜHL I Stellen Sie sich doch einmal folgendes Szenario vor: Sie bekommen einen Raum zur Verfügung gestellt, der für die Öffentlichkeit frei zugänglich ist. In diesen Raum packen Sie alles, was sich momentan in ihrem Schlafzimmer befindet. Sie bringen also alle Möbel in das Ausstellungszimmer, alle Bücher, alle Kisten, einfach alles, um es vorbeikommenden Besuchern zu ermöglichen, in ihrem privaten Besitz herumzuwühlen. Das mag für die Mehrheit vermutlich abschreckend klingen. Alina Maier-Diewald und Sven Rausch haben sich aber genau das getraut. Für acht Tage haben sie ihre eigentlichen Zimmer geräumt und in das Haus in der Sorgenfrei-Gasse verlegt. Ein paar sperrige Möbel, sowie Gegenstände, die in Bezug zu anderen Personen stehen, und somit deren Privatsphäre verletzen würden, haben sie jedoch zu Hause gelassen. Nun ist man eingeladen, die beiden Künstler*innen auf diese ungewöhnliche Art kennenzulernen.

Als ich die Zimmer betrete, fühlt sich das zunächst sehr unangenehm an. Ich starte mit Svens Raum. Dabei weiß ich von Sven nicht viel mehr, als dass er Sven heißt. Nach ein paar Minuten entwickelt sich das Erkunden jedoch zum Detektivspiel: Ich wühle mich durch Kisten, Ordner und Schubladen und entdecke dabei Zeugnisse, Familienfotos, Libellenlarven, Briefe, Skizzen, Tarot- und Geburtstags- und Landkarten. Dabei ist es fast wie Puzzeln, all die kleinen Details ergeben am Ende ein Gesamtbild. Durch das Herumstöbern bastelt man sich also nach und nach eine eigene, fiktive Identität der beiden zurecht. Man fokussiert sich gerne auf Gemeinsamkeiten, also Dinge, die sich auch im eigenen Zimmer wiederfinden lassen könnten. Bald stellt sich eine kuriose, aber wohlige Vertrautheit ein, gemischt mit viel Sympathie für die zwei Probanden. Als ich die Zimmer verlasse und die Türe hinter mir schließe, habe ich viele Fragen: Wie fühlt es sich an, in einem leer geräumten Zimmer zu wohnen? Alina, warum gießt du deine Pflanzen nicht? Was macht der Tampon auf Svens Tischchen? Aber das ist dann wohl eine andere Geschichte…

Sorgenfrei leben Am Schwarzen Meer?

VON NANE KRÜGER I Die eigenen vier Wände verraten oft sehr viel über einen Menschen. Noch mehr, wenn ihre Bewohner einfach das tun, was sie ohne Beobachter machen würden. Wenn sie nicht versuchen, jemanden als Gast zu behandeln oder irgendwelche Ansprüche zu erfüllen. Die Idee, Menschen in ihrer privaten Umgebung zu filmen und ein kleiner Teil davon zu werden, hatte Marlies Pahlenberg vor einiger Zeit und hat dies bereits in einer Straße Berlins umgesetzt. Während der vier Tage des OUTNOW!-Festivals hat sie sich erneut ihre Kamera geschnappt, an viele Türen der Straßen Sorgenfrei und Am Schwarzen Meer geklopft und einfach gefragt, ob sie mitmachen darf; wobei auch immer. Sie hat es tatsächlich geschafft, dass über zwanzig Menschen sie in ihre Häuser und damit in ihre Privatsphäre gelassen haben. Manche sogar in ihr Bett oder in die Dusche, die dann auch gemeinsam genutzt wurde. Dabei wechselt Pahlenberg immer wieder die Rolle, die sie selbst – mal absichtlich, mal nicht – in diesen Begegnungen spielt: Manchmal wird sie geflissentlich ignoriert oder in den Mittelpunkt gestellt, manchmal ist sie nur Zuhörerin und manchmal kann auch sie über unangenehmes Schweigen hinweg nur die Katze streicheln.

Es wurde miteinander geredet und geschwiegen, ferngesehen und gepuzzelt, Wäsche aufgehangen und gefachsimpelt. Sie versucht sich an einem Gasschweißgerät, lässt sich eine Turnschuhsammlung erklären und raucht zahlreiche Zigaretten. Pahlenberg hat mit ihrem dokumentarischen Versuch, ein subjektives Bild von den Bewohnern rund um Sorgenfrei 1 vermitteln zu wollen, aber deutlich mehr geschafft: Sie konnte diesen Menschen dank ihres ernsten Interesses viel Vertrauen entlocken und hat aus diesen Begegnungen, von denen manche bis zu zwei Stunden gedauert haben, einen 20-mimütigen Film gemacht, der dank zahlreicher Schnitte unglaublich kurzweilig und persönlich geraten ist. Und fremde Mensche zu Bekannten machen kann.

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