„Shhhhp, Shhhhtttppp, Shrrrrrp“

Das Choreografinnen-Duo Lisa Rykena und Carolina Jüngst verwandeln in She Legend die Bühne in einen Olymp zweier Superheldinnen, die mit heroischen Posen durch ihre Comic-Welt slllllllrrrrpen.

© Daniel Dömölky

Polizeisirenen ertönen, dann: „The world is in trouble“.
„I am ready“, sagt eine der Darstellerinnen.
„Help Me“, ruft die andere.

Mir auch!, denke ich, während ich den beiden Choreografinnen Lisa Rykena und Carolina Jüngst bei ihrer Performance zusehe. Ein Dreieck aus Lichtröhren schwebt über der Bühne. Die Spitze weist nach unten und leuchtet rot. Ein erstes „Tsccccchhk“, Vogelgezwitscher, Grillen zirpen, Rykena und Jüngst räkeln sich um die weiß glänzende Spielfläche herum, beschnuppern einander in überdeutlicher Manier.

Was ich sehe, ist die Spiegelung einer Welt aus heroischen Posen und Figuren. Das gelingt zwar, doch bleibt es schwierig, sich in den einzelnen Szenen zu verorten – sich wiederzufinden. Immer wieder frage ich mich: Was mache ich mit Codes, die ich nicht entschlüsseln kann? Warum verstehe ich sie nicht? Soll ich dem Unverstandenen assoziativ folgen? Lasse ich es einfach stehen?

Ein Bein wird in die Luft geworfen – „Kick“, das Herz schlägt „BummBummBumm“, das Schleichen „sslllllllrrrrpt“ dahin. Die Bewegungen der Tanzenden sind wie in einem Comic-Strip – immer ein bisschen zu viel, überzeichnet, überbetont. Schnelle Marschmusik ertönt, sie erinnert mich an alte Asterix und Obelix-Filme, wenn die Römer Gallien angreifen. Alles auf der Spielfläche gerät in Unruhe.

Die Bewegungen brechen mit dem Verstummen des Sounds ab: „What Have We Done?“ Die beiden Darstellerinnen blicken von ihrem Olymp auf eine Welt, die zerstört scheint. In ihren Daunenjacken, Hip Bags und wadenhohen Socken rufen sie: „Es tut uns leid! Nobody smiles. Vögel, die vom Himmel fallen. Alles ist zerstört.“

Diese Kleidung von Rykena und Jüngst nimmt sich aktueller Modetrends an. Haarlos oder mit einem Zopf stehen sie auf der Bühne. Sie nennen sich futuristische Gestaltenwandlerinnen und wollen traditionelle Comic-Held*innenideale durcheinander bringen. Aber wer sind die Held*innen eigentlich, die sie aufbrechen und anders zeigen möchten? Welche Rolle spielen sie in der Welt – und welche Bedeutung entwächst daraus für mich? Lisa Rykenas und Carolina Jüngsts Futurismus ist schwer zu lesen. Was man als Zuschauer*in sieht, sind zwei Künstlerinnen, die überzeichnete heroische Heldenposen ins Jetzt transportieren – vor allem auch durch die Kleidung.

Die Zeit läuft, eine Uhr tickt im Hintergrund. Darüber legt sich ein 4⁄4-Beat. Die beiden beginnen, rhythmische Bewegungen zu vollführen. Eine Snare kommt dazu. Es ist ein Tanz, der den Heldinnen-Epos schließlich aufbricht. Jüngst beginnt, ihren geflochtenen Pferdeschwanz zum Takt im Kreis zu bewegen. Rykena bewegt ihren ganzen Körper zum Beat. Ich frage mich, warum kommt der Tanz so spät? Warum bleibt er so selten?

Choraler Gottesgesang ertönt. Die zwei Held*innen des Stückes liegen auf dem Boden, Arme und Beine von sich gestreckt. Der Lichtkegel schrumpft immer weiter zusammen, bis nur noch die Held*innen und das inzwischen gänzlich rot leuchtenden Dreieck über ihnen zu sehen sind. Es schwebt auf der Spitze, ist aufgebrochen und dreht sich langsam in sich selbst.

Das Licht geht aus. Langsam sind leise Bewegungen in der Dunkelheit zu sehen. Ein „Tschhk“, kaum wahrnehmbar.

Die Tänzerinnen Rykena und Jüngst erwachen in der Dunkelheit zu neuem Leben. Unklar bleibt: Warum sind sie tot? Hat eine der beiden den Kampf gewonnen? Sind sie an ihrer Aufgabe gescheitert?

Eine Erzählung, wie ich sie etwa aus Comic-Strips kenne, finde ich als Zuschauer*in nicht in der Aneinanderreihung von Szenen. Was ich sehe und höre sind rhythmische Bewegungen, groteske Körperhaltungen, überzeichnete Bewegungen, maskuline Posen und der einnehmender Sound. Was mir als Zuschauerin bleibt, ist ein „„Sliiirrrrrrrp“ und „Shhhhp, Shhhhtttppp, Shrrrrrp“, „Haahrrrrrhrrrrr“ und das noch Stunden später im Ohr.

Mareike Rabea Knevels