Schattenboxen mit tödlichem Ausgang

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Am letzten Tag des OUTNOW!-Festivals tötet ein öffentliches Verkehrsmittel im Miami-Vice-Look einen wackligen Paarhufer auf Lack-Pumps. Wie es dazu kam? Das ist eine längere Geschichte.
VON NANE KRÜGER I Die Performer von Massive Owl beziehen sich mit ihrem Stück „Castle Rock“ auf den Film „Stand by me“ von Rob Reiner aus dem Jahr 1986. Kleine Erinnerungsstütze? Es gibt darin einen verstorbenen John Cusack, einen blonden Kiefer Sutherland und vier Jungs, die in ihrer Freizeit eine Kinderleiche suchen und finden. Dieser Leiche wird im Stück mit Stimme und Geschichte wieder Leben eingehaucht: Es ist hier Ray Brower (Danny Prosser), der ebenfalls vor kurzem seinen älteren Bruder verloren hat.

Wenn auch die Idee, die unerzählte Vergangenheit eines Protagonisten in den Mittelpunkt zu stellen, nicht neu ist, so hätte man doch mehr erwarten können. Aber: Anstatt sich dabei auf das Innenleben Rays zu fokussieren, wollten die Macher lieber nicht undemokratisch sein und gaben allem eine Stimme. Nicht nur dem schwächlichen Ray, der keinen anderen Weg sieht, seine Trauer zu bewältigen, als Evel Knievel nachzueifern. Da er aber gerade kein Motorrad zur Hand hat, um über den Grand Canyon zu springen, greift er zu den roten Boxhandschuhen seines verstorbenen Bruders und will gegen einen Zug boxen. Auch diesem Zug (Jenny Duffy im definitiv zu ernstgenommen Achtzigerjahre-Stil), der Ray im Film tötet und dem Hirsch, der in „Stand by me“ kurz auftaucht und niedlich guckt, werden hier ebenfalls Sprechrollen zugedacht. Warum? Vielleicht, um der Geschichte ein alternatives Ende zu geben, damit es als Jugendstück durchgehen kann? Denn anstelle des jungen Browers stirbt auf der Bühne „nur“ das Tier mit dem Geweih.

Den einfachsten Weg gewählt?

Massive Owl verharmlosen somit nicht nur die eigentliche Dramatik des Stoffs, sondern rauben dem Zuschauer zum Ende ihrer Inszenierung auch noch jeglichen Interpretationsspielraum. So wird der zum Tode verurteilte Hirsch (auf High Heels: Sam Powell) dann auch wirklich noch zu Boden gerungen, durfte vorher aber, genau wie der Zug, noch imaginäre Gespräche führen. Ganz nach dem dem Motto: „Sprächen wir die gleiche Sprache, was würden wir uns sagen?“
Dabei gab es im Ansatz viele gute Ideen: Mit einfachster Mediennutzung – Loopstation, Laptop und Beamer – wurde clever ein atmosphärisches Bühnenbild erschaffen, das wandelbar immer wieder an neue Situationen angepasst werden konnte. Wegkippende Projektionen, Schattenkämpfe und auch kleine Textpassagen verorteten und unterstützten das Bühnengeschehen. Dazu spielte die Performance mit zeitlicher Uneinordbarkeit: Man befinde sich im Jahr 1959, aber ebenso im Jahr 1986. Der erste Zeitpunkt markiert die Handlung des Films, der zweite dessen Veröffentlichung. Aber leider kann das alles nicht darüber hinwegtäuschen, dass das Stück unheimlich lange braucht, um in die Situation einzuführen, obwohl nicht einmal sonderlich viel Hintergrundwissen zum Film verwendet wurde. Es kann auch nicht die relativ simple Auflösung am Ende verbergen oder das fade Gefühl überspielen, das man hat, wenn man den Film kennt. Wurde wirklich die richtige Geschichte hinter der Figur erdacht? Wahrscheinlich hat man nur den einfachsten und schmerzlosesten Weg gewählt.

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