Melancholische Meerjungfrauen mit ganz realen Ängsten

Wieso lässt sich auf Ungarisch einfach schöner fluchen? Und warum überhaupt sollte man auf der scharfen Spitze eines Berges Sex haben wollen? Das ungarisch-deutsche Kollektiv nomerMaids gab auf diese und andere Fragen bezwingende Antworten.

Was hat Spinat zwischen den Zähnen mit Politik zu tun und würden wir diese Frage auf Ungarisch verstehen, wenn sie von einer Frau in einem Meerjungfrauenkostüm gestellt wird? Vielleicht hat ja die Performerin Adrienn Bazsó im schillernden grün-goldenen Kleid, das zwischen Meerjungfrauen- und rhythmischer Sportgymnastik-Ästehtik changiert, in „Wann hast du das letzte Mal auf der Spitze eines Berges Sex gehabt?“ auch nur auf Ungarisch geflucht. Das würde sie nämlich häufiger tun, wenn ihr das Leben im deutschen, intellektuellen, liberalen Spaßbad zu viel wird, so behauptet sie auf der Bühne der Schwankhalle am dritten Tag des OUTNOW!-Festivals. Aber: Sind ihre Fragen überhaupt interessant? Oder gilt nicht sowieso, was Performerin Charlotte Mednansky scheinbar unbeteiligt in der Show ausplaudert: „Was wäre, wenn ich ausschließlich auf den Auszug aus meinem Gehirn Lust hätte?“

Immer wieder kommt es in „Wann hast du das letzte Mal auf der Spitze eines Berges Sex gehabt?“ auf die sehr persönliche Ängste der drei Performer*innen, die seit 2015 das Kollektiv nomerMaids bilden, zu sprechen. Mal präsentieren sie diese durch direkte Fragen („Am I smart enough? Am I intelligent enough? Am I skinny enough?“). Mal schleichen sie sich über die Zweifel an der Gesellschaft scheinbar klammheimlich aus durch die Hintertür des Textes auf die Bühne.

Grundlage der einstündigen Angst-Performance ist ein Text der Regisseurin und Performerin Panni Néder. Darin hatte sie an ihrem Berliner Küchentisch bei unendlich vielen Zigaretten darüber sinniert, was zwischen ihr und dem Theater hakt oder besser gesagt: Was ihre tiefsten (osteuropäischen) Ängste in Bezug auf ihr eigenes Theaterschaffen bedeuten. Der Text, der zunächst als Lecture-Performance aufgeführt wurde, ist dann im Laufe der letzten Jahre zu einer Kollektiv-Performance erwachsen, die nun auch die gesellschaftspolitische Situation Ungarns und das diasporische Leben in Berlin thematisiert. Dass das Künstlerinsein eine ständige Reflexion des eigenen Eingebundenseins in eine Kuntszene und Gesellschaft mit sich bringt, wird hier sehr deutlich.

Doch anstelle einfacher Lösungen in schwierigen Sätzen verbalisieren die Künstler*innen komplexe, gesellschaftspolitische Thematiken in simplen Fragen. So etwa, wenn Charlotte Mednansky im Cowgirl-Kostüm und mit ausgeprägtem Südstaatenakzent ironisch darauf pocht, wie wichtig der Bau einer Mauer sei. Das könnte opportunistisch wirken, doch durch die konsequente Verbindung von politischen und persönlichen Sorgen verweigert sich der Abend einer schlichten Ideologiekritik. So kann Panni Néder in einem Kostüm, das wie die Aerobik- Version von Uma Thurman aus „Pulp Fiction“ wirkt, auf der Bühne stampfen und schreien und damit ihrem Frust darüber Luft machen, dass die ungarische Gesellschaft Viktor Orbáns Partei 2018 wieder einmal bei der Parlamentswahl bestätigt hat. Und peinlich wird es dabei nie.

Ganz im Gegenteil: Vor allen Dingen jene Passagen, in denen politische Bezüge gebaut werden, machen die ansonsten ohne viel Klimblim auskommende Performance interessant. Besonders sind auch die Situationen, in denen Néder dann auf ihre (und Bazsós) besondere „osteuropäische Melancholie“ zu sprechen kommt, die an keiner Stelle konkretisiert wird, aber ein bestimmmtes Gefühl von der Bühnenrampe ins Publikum wandern lässt: „Ich bin die Regisseurin dieser Performance, die sie ihren ungarischen Professoren widmet, die sie vernichten wollten.“

In „Wann hast du das letzte Mal auf der Spitze eines Berges Sex gehabt?“ versteht man vieles nicht, obwohl Adrienn Bazsó, Charlotte Mednansky und Panni Néder klar und deutlich formulieren. Das liegt daran, dass in nicht weniger als vierzehn Sprachen gesprochen wird. Eine Karambolage als „großartige incomprehension“, wie Adrienn Bazsó sie nennt – und damit spöttisch Bezug nimmt auf die verkopfte, liberale Kunstszene in Deutschland, deren vermeintliche Offenheit manchmal doch auch ziemlich komisch ist. Dass nomerMaids dennoch in ihr angekommen sind, ist gleichwohl ein großer Gewinn.

Beitragsbild (c) Krisztian Bocsi