Leck mich, BRD

Entlang von Filmen Rainer Werner Fassbinders hat das Kollektiv Schlechte Gesellschaft ein Requiem auf die Ideale der alten Bundesrepublik entworfen. Doch was erzählt „Leck mir die Wunden“ über unsere Gegenwart?

Eine Familienaufstellung aus dem vergangenen Jahrhundert, ein reaktionärer Reigen und ein fein gestrickter Abgesang an eine Zeit, in der Männer uns noch die Welt erklärten: „Leck mir die Wunden“ ist ein BRD-Kassensturz.

Nun stehen zwei Männer auf der Bühne, die sich über noch mehr andere Männer unterhalten. Und selbst wenn der Bechdel-Test an diesem Abend nicht bestanden wurde und auch performativ keine überraschenden Brüche zu sehen waren, reicht die Inszenierung dem Publikum ein buntes Quartett aus dem Kosmos des Machtgebrauchs – inklusive Beispiele aus der eigenen Theaterarbeit, die vor der Tür einiges an Gesprächsstoff bieten sollten.

Mit „Leck mir die Wunden“ arbeitet sich das Kollektiv Schlechte Gesellschaft am Weltbild der Kultfigur Rainer Werner Fassbinder ab, an einer „guten alten BRD“ also, wie Nostalgiker*innen sie kannten. Das Kollektiv sind die Regisseurin Meera Theunert sowie die Performer Martin Mutschler und Franz-Xaver Franz, der auch Autor des Textes ist.

Der Bühnen-Rainer, gespielt von Franz-Xaver Franz selbst, sitzt nun mit seinem Freund Achim (Martin Mutschler) im gemeinsamen Wohnzimmer. Das ungleiche Paar reibt sich am Zeitungsgeschehen, dem RAF-Terrorismus, aneinander und an der Frage, ob Unrecht neues Unrecht rechtfertigt: „An einem bestimmten Punkt der Grausamkeit angekommen, ist es schon gleich, wer sie begangen hat: sie soll nur aufhören.“ Auf Basis der Fassbinder-Filme „Deutschland im Herbst“ und „In einem Jahr mit 13 Monden“ (beide von 1978) kettet das Team Erzählungen in wutbürgerlicher, aber nicht platter Rhetorik aneinander und vergleicht, kommentiert und grast dabei rechts und links der Mitte.

So sind Rainer, cholerisch-reaktionär, und Achim, lethargisch am Weißwein nuckelnd, sich über ihren jeweiligen Umgang mit dem Zeitgeschehen uneinig. So schnell und unaufgeregt, wie der Zank begann, steigen Franz und Mutschler auch wieder aus dem Filmzitat aus – und verhandeln als Performer-Ichs reflektiert, aber noch von ihren Figuren eingefärbt, Fragen der Moral und politischen Unzulänglichkeiten der heutigen Linken.

SPD, RAF, RWF

Über allem schwebt dabei eine Erkenntnis: Früher war zwar nicht alles besser, aber heute ist definitiv alles schlechter. Zwei desillusionierte Männer also, die den großen Dreiklang des Abends verhandeln: SPD, RAF, RWF. Was die Institutionen thematisch verbindet? Macht. Machtverlust, Machtgier, Machtmissbrauch.

Auch der Hedonismus der heutigen Linken bekommt sein Fett weg: Den Ferienkommunismus des Fusion-Festivals vergleichen sie kurzerhand mit süddeutschen Volksfesten. Franz-Xaver Franz treibt’s dabei auf die Spitze, wenn er fantasiert, dass radikalisierte „links-grüne Sozialkontrolle“ eigentlich zur Enthauptung einer Rewe-Kassiererin mittels Machete führen müsste. Coca-Cola in Dosen zu verkaufen, sei halt scheiße. Dabei nutzt das Team den doppelt eingezogenen Performer-Ich-Boden, um einer differenzierten Ideologiekritik dann doch auszuweichen. Sauberer getrennt und mit mehr Polemik-Pausen läge hier ein großes Potenzial, über unsere eignen Diskurse zu sprechen.

Während Mutschler vor dem eigenen Weltschmerz resignierend Apfelstrudel bei Lieferando bestellt, telefoniert Franz mit der SPD: „Und, was macht denn eigentlich die Groko? Ja, bei uns gibt´s auch nichts Neues. Ja gut, dann ciao, Bussi!“ Dazwischen tigert er im Bühnenbild umher, immer im Slalom um die Pappaufsteller, die mit Fassbinder-Filmstills bedruckt sind. Eine Attrappe nach der anderen schubst er im Lauf des Abends um, wie ein passiv-aggressiver Kater, der aus Freude an der Sache die Bilderrahmen vom Fenstersims kickt – es macht Spaß, ihm dabei zuzusehen. So fällt die konstruierte Welt des RWF langsam in sich zusammen, und mit ihr ein Rainer-Kopf, der vorher am Holzkreuz über der Pappcouch thronte. Was die Inszenierung mit der Dekonstruktion eines autoritären Genies auch wieder aufgreift, ist die Frage, ob man die Künstler*innen von ihrer Kunst trennen soll und kann.

Der Abend nennt sich antibürgerliches Trauerspiel. Egal, was genau betrauert wird – ein abklingender Geniekult, der Untergang des Patriachats, oder die (noch nachschmerzenden Bremer) Wahlergebnisse der SPD – auch die müdesten Rainers dieser Welt dürfen diesem Phantomschmerz ruhig noch kurz nachfühlen. Aber bitte nicht zu lang. Denn danach steht der Neuaufbau an.

Beitragsbild (c) Cássia Vila