Paare sind feindliche Inseln – Rette sich wer kann! heißt das Stück, mit dem Janna Pinsker und Wicki Bernhardt alias PINSKER+BERNHARDT beim OUTNOW! zu Gast sind. Unsere Autorin Lina Kordes hat das Duo einen Tag vor ihrem Live-Stream in der Schwankhalle Bremen getroffen und mit den beiden über digitale Formate, Paarbeziehungen und Theater für junge Menschen gesprochen.

OUTNOW!-Blog: Wie ist es für euch, vor Ort bei einem Festival zu sein, wo auch andere Künstler*innen sind, aber euer Programm trotzdem digital übertragen wird?
J: Im Theater arbeitet man sowieso oft dagegen an, die Stücke nur für die eigene Peer Group zu produzieren. Wir haben schon den Anspruch, etwas für alle zu machen, aber dafür muss man auch erstmal alle erreichen. Wenn ich das Publikum sehe, weiß ich: Hey, da sind alte Menschen, junge Menschen. Wenn ich die Menschen aber nicht einmal sehen kann, dann habe ich noch mehr das Gefühl‘: Boah, hoffentlich mach‘ ich das jetzt nicht nur für uns.
W: Es ist ein total schönes Erlebnis, jetzt hier in Bremen was vor Ort zu machen, das aber zugleich potentiell die Welt erreichen könnte. Es ist natürlich immer die Frage, ob es das auch tut. Früher wäre es nicht möglich gewesen, dass Menschen unsere Performances sehen, die gerade nicht vor Ort sein können. Bei digitalen Übertragungen kann ich jedoch sagen: Hey du, meine Freundin aus – wo auch immer, Madrid – guck mal, wir machen das! Durch das Digitale entsteht einerseits eine Enge, aber auch eine Weite.
Euer Stück Paare sind feindliche Inseln habt ihr ja auch vor der Pandemie schon performt. Wie fühlt es sich an, kein komplett neues Programm für den digitalen Raum zu haben, sondern mit einem zu arbeiten, von dem ihr wisst, wie das Live-Publikum auf bestimmte Szenen reagiert hat und reagieren würde?
J: In der freien Szene produziert man schon viele neue Arbeiten. Wenn man mal Glück hat, tourt eins besonders gut. Aber es ist nicht so, dass man eine Arbeit hat, und die dann ständig gezeigt wird, wie wenn sie etwa in einem Stadttheater im Programm wäre. Normalerweise ist es eher so: Man hat ein Stück, zeigt das ein paar Mal, und wenn man dann auf Gastspiele fährt, ist es das Gleiche. Die Umstellung aufs Digitale ermöglicht jedoch, dass man nochmal ein bisschen an Stücken arbeiten kann.
Wir haben unser Stück für den Stream adaptiert und zum Beispiel eine Live-Hotline eingebaut, bei der man während des Stücks anrufen kann. Diese weitere Beschäftigung mit dem Material fehlt sonst oft. Warum können wir uns nicht immer drei Jahre mit dem Thema beschäftigen? (lacht) Warum muss man auch ständig was Neues raushauen? Daher ist es schön, sich diese Stücke digital anzueignen.
W: Dieses Stück wurde wegen der Pandemie oft abgesagt oder verschoben. Ich habe mich gefreut, als klar war, dass es beim OUTNOW! eine digitale Lösung geben wird. Da geht zwar einerseits viel verloren, weil es etwa keine Live-Momente mit Publikum im Raum gibt, aber gleichzeitig entwickle ich auch wieder die Lust daran, Dinge zu machen.
In eurem Ankündigungstext für die Performance steht „Alle glauben an die große Macht des Paarseins“. Warum glaubt ihr nicht oder nicht mehr daran?
W: Naja, also ich weiß gar nicht, ob ich komplett nicht mehr daran glaube oder das Stück das so behauptet… Uns geht es eher darum, dass in unserer Gesellschaft ganz klar folgendes Narrativ herrscht: Es ist gut in einer Zweierbeziehung zu sein. Komme was wolle, du brauchst eine Partnerin oder einen Partner oder ein*e Partner*in, jemanden, mit dem du dich immer abgleichen kannst. Und das wird mir ja ständig gepredigt, egal wo ich hingucke – ob im Pop, im Film, oder auch privat in meinem Austausch mit meiner Umgebung. Man kommt gar nicht drum herum, sich mit dieser Vorstellung abzugleichen. Und das empfinde ich als freiheitsnehmend. Ich glaube, dass Paarbeziehungen sehr schön sein können, aber auch, dass es sehr viele andere Möglichkeiten gibt, sein Leben zu bestreiten.
J: Ich glaube auch, dass Paarbeziehungen einerseits sehr schön sein können. Aber zugleich empfinde ich die Vorstellung als einen oftmals konstruierten Wunsch, wie viele Vorstellungen in unserer Gesellschaft. Und ich will nicht akzeptieren, dass Paarbeziehungen derart exklusiv sein sollen. Es gibt einen Ausschluss von Anderen, sobald Leute in einer Beziehung sind. Allein im Vokabular, bei Pärchenabenden oder wenn es um die Priorisierung von Familienurlauben geht. Die Balance zwischen Paarbeziehungen und anderen Beziehungen fällt vielen schwer. Wir haben uns gefragt, wie man daraus ein Stück für junge Menschen ab zehn Jahren machen kann, ohne ‘ne Ideologie daraus zu machen. Uns geht es nicht darum, zu belehren: Wenn du einen Partner hast, ist das voll schlimm. Aber wir wollen die Wahrnehmung dafür zu schärfen, dass sehr viel in unserer Gesellschaft darauf ausgerichtet ist. Das ist ja ein Diskurs, der in den letzten Jahren total populär wurde, mit Arbeiten der Soziologin Eva Illouz oder der Comic-Künstlerin Liv Strömquist zum Beispiel. Da passiert etwas, was in den Mainstream überschwappt. Und wir hatten Lust, das mit Objekten auch auf die Bühne zu bringen.
Paarbeziehungen werden ja oft fast ausschließlich im Erwachsenenkontext ausgehandelt. Wieso ist es euch wichtig, das Thema auch für ein jüngeres Publikum auf die Bühne zu bringen?
J: Generell versuchen wir in unseren Stücken, Themen zu verhandeln, die alle was angehen. Kinder werden bereits in der Schule mit dem Paarthema konfrontiert. Da wird ihnen vielleicht gesagt, dass sie einen Vater und eine Mutter haben müssen, dass es ein Paar geben muss, das sich um sie kümmert.
W: Mein Eindruck ist auch, dass Kinder schon sehr starke Vorstellungen von Paarbeziehungen haben. Ich denke da an meine Nichte. Die ist zwar erst sechs Jahre alt, geht aber schon voll auf Vorstellungen ab wie: Ich werde später verheiratet sein, Kinder haben… In unserem Stück geht auch um die „Zuschauende Dritte“. Wir erzählen von einem Liebespaar, das sich gerade erst kennengelernt hat. Und dann ist da eine dritte Person, die eigentlich immer nur kommentiert: Schön, dass ihr so glücklich seid! Und diese zuschauende Position – das ist vielleicht auch ‘ne Perspektive, die für Kinder interessant ist, die ja auch immer dem totalen Glück (schmunzelt) zuschauen müssen. Und wenn ich an meine eigene Kindheit denke, habe ich schon immer das Gefühl gehabt, dass das Thema der Zweisamkeit und der Ausschluss anderer sehr dominant ist.
Was würdet ihr Leuten, die das Stück jetzt erst sehen, noch mitgeben wollen? Mit welchem Mindset sollten sie in das Stück gehen?
J: Ruft bei unserer Hotline an! (beide lachen) Im Stück versuchen wir, die kulturellen Vorstellungen, dass alle Menschen eine Zweierbeziehung brauchen, offen zu legen. Unser Anspruch ist nicht, dass alle das so ähnlich sehen wie wir. Deswegen denke ich, dass es Spaß machen könnte, wenn man in das Stück geht und sich offen dafür zeigt, dass es viel mehr Möglichkeiten gibt, als der Glaube an die eine menschliche Wunschfigur als Partner – sondern, dass man mit vielen Dingen in Beziehung treten kann. Und das auch Spaß machen kann.
Interview: Lina Kordes