Festival am Bildschirm

Die Perspektive durch die Kamera bei einem Online-Festival ist fremdbestimmt, findet unsere Autorin, weil der Blick nicht dorthin wandern kann, wohin wir wollen. Ist das gut oder schlecht?

Ein Theaterfestival in Zeiten der Pandemie. Wir haben uns gefragt, wie das aussehen wird und wie es sich anfühlen könnte – was wir vermissen werden und was wir Neues entdecken. Nach intensiven Diskussionen über die ersten Performances schreiben wir gerade an unseren Kritiken. Zum Inhalt also etwas später mehr. Aber schon jetzt beschäftigt uns die Form: der Theaterbesuch am Computer.

Natürlich fehlt es mir, mit Anderen in den Zuschauer*innenraum zu schlendern, vielleicht noch eine Kippe vor der Tür zu rauchen und meiner Begleitung während den Aufführungen erste Gedanken zum Gesehenen zuzuflüstern. Vieles von dem, was einen Theaterabend zum sozialen Ereignis macht, fällt eben weg.

Stattdessen sitze ich nun mit einer Wärmflasche auf dem Bauch und einer Brezel in der Hand an meinem Laptop – ein bisschen langweilig vielleicht, aber auch ziemlich gemütlich. Was aber macht diese digitale Form der Rezeption mit und aus den Inszenierungen?

Natürlich haben sich unsere Sehgewohnheiten in Bezug auf das Theater bis jetzt vor allem im Live-dabei-Sein entwickelt und ausgeformt. Und wir können uns nicht dagegen wehren, über den Verlust nachzudenken. Wir alle haben uns gefragt, wie es wohl wäre, das Keuchen der Performer*innen von 2666 und She Legend aus nächster Nähe zu hören, ihnen direkt in die Augen zu blicken und darin ihre Anstrengung oder aber Unermüdlichkeit zu sehen. Andererseits: Wenn die Kamera auf die Gesichter der Performer*innen zoomt, sehen wir Schweißperlen, die uns „normalerweise“ vielleicht entgangen wären. Die Akteur*innen können mit der Kamera spielen und eine ungewohnte und spannende Beziehung zu den anonymen Menschen hinter ihren Laptops aufbauen.

Die Perspektive durch die Kamera ist fremdbestimmt, wir können unseren Blick nicht frei dorthin schweifen lassen, wohin wir wollen. Ist das gut oder schlecht? Manche haben das Gefühl, dass die Kamera ihnen die Sicht versperrt und die Autonomie ihrer Wahrnehmung angreift. Die subjektive Selektion der Flut an Zeichen auf und neben der Theaterbühne, die bewusst oder unbewusst stattfindet, wird gegängelt oder gar ganz ausgeschaltet. Andere von uns freuen sich über die Möglichkeit zurückzuspulen, Verpasstes doch noch zu sehen, sich die Zeit zu nehmen, die man braucht, und eine bewusste Auswahl dessen zu treffen, was man sehen möchte. Ganz im Gegenteil also über ein ganz ungewöhnliches Mehr an Autonomie.

Wir stellen fest: Über Theater zu schreiben und nachzudenken, nähert sich dem Film an. Inszenierungen verändern sich durch den Umzug ins Digitale. Das ist eine Herausforderung für Performer*innen, für die Choreografie – aber auch für uns als Zuschauende und Kritiker*innen. Das muss uns nicht gefallen, wir dürfen Offline-Theater vermissen, und es wird auch eine Zeit kommen, in der das wieder stattfinden kann. Doch bis dahin lassen wir uns nun ein auf die digitalen Formate und lernen auch unser eigenes Sehen neu kennen.

Anna Maria Zimmermann

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