Richtiges Entschuldigen will (an)gelernt sein. Und genau das zeigt das Team von &sistig in seiner Produktion How To Excuse als ein Bootcamp der Reue.

Ich falle prompt darauf herein: Ganz viele junge Menschen stehen in unterschiedlichen Räumen vor weißen Wänden. Ein (digitales) Fenster nach dem anderen öffnet sich mit einem neuen Gesicht. Sie alle entschuldigen sich über den Bildschirm bei mir dafür, dass sie heute Abend nicht in Bremen sein können. Die Gründe sind so vielfältig wie absurd: „Es tut mir leid, aber ich kann nicht nach Bremen kommen, ich bin schon so digital, ich glaub ich bin hier irgendwie gefangen.” Und ich denke, huch, sind das ernstgemeinte Statements aus den Kinderzimmern, entschuldigen die sich wirklich bei mir? Bis ich merke: Nein, das ist Teil der Inszenierung. Mea Culpa.
Ich verzeihe ihnen, denn ehrlicherweise sitze auch ich nicht in Bremen, sondern in Berlin. Und ich schaue gebannt auf den Bildschirm. Bei den ersten drei Personen verspüre ich noch aufrichtiges Mitleid. Nach etwa drei Minuten Entschuldigungstiraden schmunzel ich über die Doppeldeutigkeit des englischen Wörtchens “excuse”, in dem gleichzeitig Entschuldigung und Ausrede steckt. Je mehr Zeit vergeht und je mehr Entschuldigungen sich aneinanderreihen, desto mehr scheinen sie zu Ausreden zu werden.
Von welchen äußeren Faktoren das Gelingen einer aufrichtigen Entschuldigung abhängt und wie sie bewertet wird, hängt von einer ganzen Armada an Möglichkeiten ab, die &sistig dem Publikum in alter Theatermanier mit Kunstnebel, Atmo-Sounds und fake Regengeräuschen demonstriert. Das richtige Licht, die richtige Gestik & Mimik, die richtige Atmosphäre, die richtigen Wörter, die richtige Lautstärke – das alles trainieren sich die Schauspieler*innen auf der Bühne an wie Sportler*innen, die sich auf einen Wettkampf vorbereiten. Das Olympia im Ausredenerfinden.
Mit dabei sind auch ein paar echte Stargäste: Die Schlange aus dem alten Testament, Christopher Kolumbus, Marie Antoinette und sogar der Eisberg der Titanic! In diese Rollen schlüpfen die Spieler*innen und entschuldigen sich in deren Namen. Nach jedem Wechsel der Figuren ertönt der Anfang des Liedes “je ne regrette rien” von Edith Piaf. Ich bereue nichts. Inhalt und Form scheinen sich zu widersprechen. Während die historischen Persönlichkeiten sich vermeintlich entschuldigen, bleibt ihre Mimik steif. Die Entschuldigungen wirken dadurch wie leere Worthülsen.

Steckt da irgendwo wahre Reue? Muss es die überhaupt geben? Bei &sistig bleibt das unklar. Da sind Sätze wie “Es tut mir leid, dass ich schon mit 14 Jahren heiraten musste”, die einer der Spieler in der Rolle Marie Antoinettes sagt. Vorwurf, Schuld und Rechtfertigung liegen in diesen Sätzen ganz nah beieinander. Ein einfaches “Sorry” wird jetzt zum Politikum. Historische Ereignisse wie die angebliche Entdeckung Amerikas durch einen Irrtum von Christopher Kolumbus, der zur Kolonisierung und Gewalt gegen die indigene Bevölkerung führte, werden bedauert. Für mich klingt das nach dem Versuch einer Wiedergutmachung. Das hat einen faden Beigeschmack. Entschuldigen – und dann ist wieder alles gut?
&sistig geht damit ambivalent um und zeigt, dass nicht jede Entschuldigung von jeder Person auch angebracht ist. Entscheidend wirkt hierbei die Intention. Gerade, wenn die Entschuldigung sich wie ein raus entschuldigen anhört. “Ja, das war eine besoffene Geschichte” sagt beispielsweise eine der Spieler*innen in der Rolle des österreichischen Politikers Heinz Christian Strache zum Korruptionsskandal, der als „Ibiza-Affäre“ bekannt wurde.
Die wirklich authentischen Entschuldigungen des Abends sind die charmanten “sorrys”, die den Spieler*innen kurz entweichen, wenn das Mikrofon rutscht, wenn der Ton abbricht, wenn etwas einen Moment mehr Zeit kostet. Diese – vor den Augen der Zuschauer*innen – kleinen, vielleicht unbemerkt bleibenden Fehler und das kurze Lächeln, mit denen sie entschuldigt werden: das sind die Augenblicke, die den Fauxpas zum System dieser Aufführung machen. Zum menschlichen System. Fehler zu machen und sich aufrichtig zu entschuldigen, gehört hier durch und durch zum Konzept.
In der zweiten hälfte des Stückes kommen die Momente auf, in denen eine Entschuldigung versäumt oder einfach umgangen wurde – wie bei den Reparationszahlungen von Deutschland an Namibia. Deutschland hat sich für den Völkermord an den dortigen Herero und Nama nie öffentlich entschuldigt.
Am Ende singt Madonna laut “Please don’t say you’re sorry”, während alle Spieler*innen zu ihren historischen Figuren in tanzende Standbilder einfrieren. “How to excuse” ist eine Hommage an die ehrliche Entschuldigung.
Julia Gudi
(Eine weitere Besprechung zu How To Excuse gibt es hier von Lea Terlau.)
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