In der Video-Performance Mechanic’s Helper übersetzt Maral Müdok ein ikonisches Lied der türkischsprachigen Arbeiter*innenklasse ins Englische – und schafft auch auf visueller Ebene eine ironische Umdeutung.

Gönlüme bir ateş düştü yanar ha yanar yanar
Ümit gönlümün ekmeği umar ha umar umar
(Engl.: Fire in my heart, it burns it burns, it burns
Hope is my soul´s bread, it hopes hopes)
(Dt.: Feuer in meinem Herzen, es brennt, es brennt, es brennt
Hoffnung ist das Brot meiner Seele, sie hofft, sie hofft.)
So beginnt ein Lied des aus der Türkei stammenden Sängers Cem Karaca. Er sang es 1975 zum ersten Mal. Und heute singt es Maral Müdok, Kunststudentin in Offenbach. Nur singt sie es auf Englisch.
In Müdoks Video-Performance, die während des OUTNOW! auf der Webseite des Festivals durchgehend abrufbar ist, höre ich das Lied zum ersten Mal. Ich drücke auf Play. Den Ankündigungstext habe ich da noch nicht gelesen. Ich sehe Müdok in einer weißen Latzhose, darunter weißes T-Shirt, auf dem Kopf eine weiße Cap und schwarze Sonnenbrille, an den Füßen schwarze Sneaker. Müdok steht vor einer grünen Wand, die an einen Greenscreen beim Film erinnert. Die Musik geht los. Eröffnet wird das Lied von flimmernden und flirrenden E-Gitarren, die immer wieder dasselbe Motiv spielen, dazu treibende Drums. Nach ein paar Takten beruhigen sich Rhythmus und Gitarrenglühen und die Atmosphäre wird ruhig.
In einer Art Sprechgesang zitiert Müdok die ersten Zeilen des Originals auf Englisch. Erzählt wird aus der Perspektive eines KFZ-Mechanikers, der sich in eine vornehme Klientin verliebt, als diese ihr Auto in der Werkstatt zur Reparatur abgibt. Trotz seiner Bemühungen, ihr zu gefallen, behandelt sie ihn herablassend und weist ihn ab. Das Video gefällt mir. Da ich kein Türkisch kann, freue ich mich, dass Müdok auf Englisch singt, sodass ich die Geschichte Wort für Wort verfolgen kann. Die Sprache ist einfach und poetisch und ich denke, dass Müdok wahrscheinlich eine sehr gute Übersetzung hinbekommen hat, denn irgendwie klingt der englische Text gar nicht so englisch, sondern vermittelt mir das Gefühl, dass ich doch Türkisch kann.
Elleri ak yumuk yumuk, ojeli tırnakları
Nerelere gizlesin şu avucum nasırları
Her hands white closed and clenched
Her nails are polished
And where should I hide this ugly ugly hands?
Ihre Hände: weiß und weich
Ihre Nägel sind poliert
Wo soll ich diese hässlichen hässlichen Hände verstecken?
Was bedeutet die Übersetzung ins Englische für das Lied? Ich habe den Eindruck, dass der Sprachwechsel einen Distanz-Effekt auf mehreren Ebenen hervorbringt. Englisch wird im Jahr 2021 von vielen jungen Menschen an vielen Orten der Welt gesprochen. Müdok ist eine transnational arbeitende Person. Sie kennt die türkischen Worte des Originals, gibt sie aber in der Sprache wieder, die wahrscheinlich häufig ihre Arbeitssprache ist. Das Lied des unglücklich verliebten Arbeiters heute auf Englisch zu singen, transportiert den Inhalt des darin Erzählten ein Stück weit weg vom lokalen Kontext der 70er Jahre in der Türkei, wo Cem Karaca die Geschichte verortet hat. Müdok entfremdet diese zeitliche und geografische Bezogenheit und macht die eingängige Erzählung auch im transnationalen Kontext erst einmal sprachlich zugänglich und dadurch inhaltlich anschlussfähig. Weil sie in ihrer Übersetzung, wie mir scheint, sehr nah am Originaltext bleibt, gibt sie die ursprüngliche Verortung aber nicht gänzlich auf. Es findet vielmehr eine Verschiebung oder Transformierung des lokal Kanonisierten statt.
Ustam seslendi uzaktan oğlum al takımları
Ustam seslendi uzaktan oğlum al takımları
My master yelled from the far, “Son get the tool pack!”
My master yelled from the far, “Son get the tool pack!”
Mein Meister rief mir von weitem zu, „Junge, komm, hol den Werkzeugkasten!“
Mein Meister rief mir von weitem zu, „Junge, komm, hol den Werkzeugkasten!“
Ich schaue das Video zu Ende und lese dann im zugehörigen Web-Text nach, dass Karacas Lied „Tamirci çırağı“, was übersetzt eben „Mechanics Helper“ und im Deutschen sinngemäß „KFZ-Mechanik-Lehrling“ bedeutet, in den späten 70ern Kultstatus unter Linken und Systemkritiker*innen in der Türkei erreichte. Nachdem Karaca massiven staatlichen Repressionen ausgesetzt war, sah er sich gezwungen, nach Deutschland zu emigrieren. Dort führte er seine musikalische Karriere fort und verfasste Texte über die Lebensrealitäten von Migrant*innen aus der Türkei.
Müdoks Distanznahme zum Original erfolgt nicht nur auf sprachlicher, sondern auch auf bildlicher Ebene. Während Karacas Text eine heteronormative Konstellation suggeriert, bricht Müdoks Verkörperung des Arbeiters Genderstereotype auf. Sie agiert dabei weder klischeehaft männlich noch weiblich. Sie ist einfach ein Mensch mit weißer Latzhose und wäre mit ihrem coolen(!) Outfit auf dem nächsten UdK-Rundgang nicht weiter aufgefallen. Durch den zeit- und raumlosen Greenscreen im Hintergrund entsteht der Eindruck, die Geschichte könnte sich überall abspielen. Auch hier ist das Narrativ also aus seinem spezifischen zeitlichen, geografischen und kulturellen Kontext herausgelöst und hat einen zeitgenössischen und universelleren Anstrich erhalten.
İşçisin sen işçi kal
İşçisin sen işçi kal
You are a worker, stay a worker
You are a worker, stay a worker
Du bist ein Arbeiter, bleib ein Arbeiter
Du bist ein Arbeiter, bleib ein Arbeiter
Obwohl die Erzählung relativ traurig ist, und ich mir vorstelle, dass sie für eine ganze Generation Arbeiter*innen in der Türkei ein Klagelied über unüberwindliche Klassenschranken darstellt, erkenne ich in Müdoks Version doch eine ironische Seite. Die relativ platten Gesten, mit denen sie bei dem Wort „heart“ mit ihrer Hand auf ihre Brust klopft oder auf Befehl des Lehrmeisters den roten Werkzeugkasten öffnet, haben etwas Albernes und scheinen sich über den Herzschmerz des Arbeiters auch ein wenig lustig zu machen. Vielleicht liegt ja in dieser Wendung etwas Befreiendes, weil sie das kollektive Erinnern auf tragikomische Weise aufgreift, und ihm somit einen bewussten Platz gibt, ohne damit in eins zu fallen.
Anna Maria Zimmermann