Mit seiner Performance „I Listen, (You) See“ hat der tunesischstämmige Choreograph Hamdi Dridi die Baustellenarbeit auf die Theaterbühne geholt – als Hommage an seinen Vater und als Plädoyer für die Wertschätzung hart erarbeiteter Kunst. Eine Begegnung.
Ein schwarzer Lautsprecher, an ein Seil gebunden, wirbelt kraftvoll durch den Raum; pendelnd und kreisend, einer Abrisskugel auf der Baustelle ähnlich. Aus drei Eimern ertönen Tropfgeräusche, die doch glatt von den fallenden Schweißtropfen der beiden atemlosen Tänzer hätten stammen können.
In Hamdi Dridis „I Listen, (You) See“ geht es um mehr als „nur“ die Bewegungsstrukturen der Handwerkerklasse nachzuzeichnen. „Aus minimalen Requisiten, aber stark repetitiven und immer weiter transformierenden Bewegungsmechanismen hat sich die Komposition der Performance zusammengesetzt.“ So beschreibt es Hamdi Dridi beim Künstler*innen-Gespräch am Morgen nach seiner Performance, wo er auch sogleich auf die Frage nach der Tänzerkonstellation eingeht: Denn eigentlich hätten am Freitagabend drei Performer tanzen sollen, aber aus aufenthaltserlässlichen Gründen durfte Houcem Boukarucha gar nicht erst einreisen. Dridi erklärt aber, dass die Performance dadurch nicht beeinträchtigt und dass sie ursprünglich sogar als Solo-Performance entworfen wurde. Jeder der Tänzer habe seine eigene „Tanzroutine“, dennoch interagierten die Bewegungen mit den anderen Körpern, denen sie begegnen. Improvisatorische Momente werden von Dridi in den Raum geschleudert, sodass die Konzepte von Individualität und Solidarität zu einem Ganzen verschmelzen. So kommt es aber auch, dass keine Performance der anderen gleicht. Dabei stellten sie sich folgende Ausgangsfragen: Wie wird man erschöpft, ohne „dramatisch“ zu wirken? Wie kann man geistig „wegschalten“ und zugleich anwesend sein? Was ist der Unterschied zwischen dem Ausführen einer Bewegung und die Bewegung selbst zu sein?
„Bewegung ist nur Bewegung.“
Ein gewöhnlicher Arbeitsalltag in Tunesien nimmt unter der lodernden Sonne seinen Lauf und endet mit Einsetzen des Sonnenuntergangs. Dridi erzählt von seinem Vater, der als Anstreicher gearbeitet habe. Ihm ist „I listen, (You) See“ gewidmet. Auf der Bühne scheint grellgelbes Licht aus mehreren Winkeln; erst von oben, dann stückweise von der Seite: „Wir arbeiten bloß. Ein ganzer Arbeitstag wird in 45 Minuten verpackt.“ Aber nicht nur seinen Vater ehrt Dridi. Der Abend ist ebenso eine Hommage an seine Mutter, deren gewöhnliche Haushaltsaktivitäten meistens übersehen werden. So werden feine, handarbeitende Gesten miteingebaut, aber auch eine für die arabischen Frauen typische Putzbewegung: im Bücken, aber ohne die Knie zu beugen, mit den Händen hin und her auf dem Boden schweifend: So wird der Boden gewischt. Es geht um körperlich belastende, außer Atem setzende Arbeitsbewegungen; um die Grenzen des menschlichen Körpers, unabhängig vom Geschlecht.
Für das tunesische Publikum sei diese Performance zu avantgardistisch gewesen. Nach seinem Bachelor- und Masterabschluss in Tanzchoreographie in Frankreich führte Dridi die Performance als Solostück in seiner Heimat auf und erhielt eine eher enttäuschte Reaktionen: Tanzen solle einem Ritual angleichen, einer ästhetischen Struktur folgen und ein klares Ende haben, nicht aus Hitze, Erschöpfung und Schweiß bestehen, hätten einige Zuschauer*innen geklagt. Dridi habe erwidert: „Bewegung hat weder eine schöne, noch eine hässliche Seite. Es ist nur Bewegung.“ Respekt für Kunstschaffende sei in Tunesien selten anzutreffen, behauptet Dridi. Daher sei es ihm wichtig gewesen, eine choreographische Erfahrung zu entwickeln, die die Schwerstarbeit eines Künstlers, vor allem eines Tänzers, in den Mittelpunkt rücken lässt: „Der Künstler als Arbeiter an seinem eigenen Werk.“
Beitragsbild (c) Cássia Vila