Auf der Suche nach dem Utopischen im Alltag bespielten Studierende der HfK Bremen mit „UTOPIA“ den öffentlichen Raum am Weserufer – und stellten dabei die Frage: Wem gehört die Stadt?
„Folgen Sie mir bitte durch diese Mauer“ – wer möchte diese Einladung zu einem utopischen Spaziergang schon ablehnen? Noch theaterblind von der Eröffnungsperformance „I listen, (you) see“ schälen sich die Gäste des OUTNOW! 2019 aus dem Kleinen Haus des Theater Bremen in den Innenhof und vorbei am Concrete Curtain, einem wehenden, transparenten Vorhang, den Kseniia Stavrova in Serie mit Betonmauermotiven bedruckte.
Den Bremer*innen sind die beiden Gestalten die uns zum Spaziergang einladen vertraut – Gesche und der Bremer Roland sind so etwas wie die Schutzpatron*innen der Hansestadt. Der Bremer Roland gilt als heroische Figur, als Symbol der wirtschaftlichen Unabhängigkeit und Freiheit der Stadt. Gesche Gottfried lebte Anfang des 19. Jahrhunderts als Tochter aus armem Haus und galt lange wegen ihrer Tugendhaftigkeit als „Engel von Bremen“. In die Stadtgeschichte ging sie dann 1831 als 15-fache Mörderin ein – ihre Hinrichtung als die letzte öffentliche in Bremen. Heute erinnert ein Spukstein am Dom an die Antiheldin. Und warum genau traben wir nun einer 15-fachen Mörderin hinterher?
Mit ihren Interventionen sucht die Klasse von Asli Serbest das Utopische im Alltag, im Kleinen, Temporären, wie Serbest sagt. Dazu gehört auch das ambivalente der Stadtgeschichte, das Unklare. Die Künstler*innen der HfK nehmen sich den öffentlichen Raum und geben ihn zerrückten Figuren wie Gesche, setzen den Fokus auf Transitzonen und Nicht-Orte, um einen ineffizienten, nicht-kapitalistischen Diskurs ins Leben zu rufen. Wem gehört die Stadt? Wer bekommt Raum zugesprochen, über wen richten wir? An wen und wie erinnern wir uns und wie tragen wir die Geschichte in ein utopisches Morgen?
Unterwegs am Deich passieren wir temporäre Aquädukte, die von Lukas Kalmus zu einer drei Meter hohen Rauminstallation verschraubt werden und so zum Unort im doppelten Sinn werden: Was bringen Verbindungselemente, wenn sie in sich abgeschottet keine Orte vernetzen und im physischen Sinn nichts mehr transportieren, sondern in sich verworren einfach sind? Als Protagonist*innen eines auf Effizienz getrimmten Alltags sind die Flaneur*innen aufgefordert, ihren eigenen roten Faden zu finden. Selbst zu sagen, was das denn hier alles soll, Antworten werden nicht geliefert. Rätselnde müssen sich den Müßiggang selbst erschließen und durch die Ungeduld durch – was bei Nieselregen und Windböen zugegebenermaßen nicht leicht fällt.
Die Mobile Parzelle, ein Projektraum auf Rädern, verschafft der Wandergruppe kurz vor der Schwankhalle dann ein wenig Ablenkung: Grantelnde Menschen beschwichtigt man am besten mit, richtig, Essbarem. Während einer der Studierenden also die mitgebrachte Kamera Obscura am Boden untersucht, rührt eine Performerin in einer kleinen Petrischale herum und tröpfelt sich gräuliches Gemisch in den Mund – die Essenz eines Ascherituals, erklärt sie, sehr nahrhaft und gesundheitsfördernd. Der basische Snack überzeugt nur einige wenige, andere lehnen dankbar ab und lutschen dann doch lieber an den Salzkartoffeln, die nebenher verteilt werden.
Letzter Halt des Spaziergangs: Kitchen Realism von Izabella Dobielewska. Der Grundriss der Frankfurter Küche als Paradebeispiel eines heimischen Funktionalismus wird von ihr wunderbar entfremdet – und ohne Nutzen liegt die Küche gewordene Design-Effizienz getapet auf dem Hof vor der Schwankhalle. So ist „UTOPIA“ ein ungemütlich-schräger, assoziativer und herrlich unproduktiver Prolog zum OUTNOW! 2019, Duchamp wäre stolz.
[…]
But nature must no longer be othered.
Nature is not isolated.
Nature is not rigid.
Instead we must recognize our entanglement in the ecosystem and how we are stabilized on finite sources. We must evolve from the parasite of the global organism to the mitochondria of our local organ. We have to perform critical action – on sources, on each other and on ourselves.
Do not hesitate to get uncomfortable.
Resist to excuse yourself.
We must stop ignorance.
We have to cause discomfort.
[..]
Auszug aus: Discomfort Manifesto von Nathalie Gebert