Der öffentliche Raum verlagert sich ins Digitale – was heißt das eigentlich? Gibt es dann noch einen analogen öffentlichen Raum? Und überhaupt: Was soll dieser ominöse öffentliche Raum eigentlich sein?
Ich denke zuerst an Städte, an Straßen voller Menschen, an vorbeiwehende Gesprächsfetzen, die ich aus dem Ohrwinkel höre. Irgendwie auch eine sehr idealisierte Vorstellung. Ich frage mich dann aber auch, wer diesen Raum nutzen kann, und wie. Räume sind da, aber sind die öffentlichen Räume auch wirklich für die ganze Öffentlichkeit zugänglich? Außerdem ist der öffentliche Raum zur Zeit ja gar nicht so, wie ich an ihn denke: Er steht ein wenig still, er steht ein wenig rum, er weiß nicht ganz wohin mit sich, so wie ich, jetzt, hier, in diesem Moment. Und das, obwohl in Bremen gerade die Außengastro öffnet.
In der Soundinstallation Sprechraum von cindy+cate habe ich mir diese Fragen besonders gestellt. Menschen können hier anonymisiert Nachrichten an die Performer*innen schicken, die sie uns dann vorlesen. Wir hören zu – im Radio Angrezi, auf dem Goetheplatz aus Lautsprechern vor dem Theater. Aber wer hört eigentlich zu? Wer hört Radio Angrezi, wer ist vor Ort? Mein Blick schweift über den Platz und ich sehe Passant*innen vorbeitigern, kurz stehen bleiben, sich nach den Wörtern umdrehen. Aber ist das schon zuhören? Wo stehen diese Menschen, von wo aus reden sie?
Irgendwo zwischen uns wabern Wörter. Da spricht wieder ein Mensch aus der Maschine: „Ich glaube nicht, dass wir den Klimawandel aufhalten können“ – ganz schön pessimistisch, na toll – stimmt vielleicht aber auch. Die körperlose Stimme spricht weiter. Wo dieser Körper wohl gerade ist? Eigentlich besteht diese Stimme ja nicht nur aus einem, sondern aus zwei Körpern: aus dem Körper der lesenden Person und aus dem Körper, dessen Finger geschrieben haben. Ich sehe eine Person, die sich vielleicht das gleiche fragt – vielleicht hat die Person aber auch selbst eine anonyme Nachricht verfasst und wartet – ERWISCHT?
Wie sich dieses Format wohl verändert, das Format der Installation meine ich, wenn es im digitalen Raum stattfindet. Und wie wäre es, wenn dieser Platz jetzt voll mit Menschen wäre, die zuhören? Wobei … Im Hygienekonzept des Festivals stand was dazu: Jemensch müsste auf Abstände achten und auf Masken. Aber würden sich die Leute über Gesagtes aufregen oder sich freuen, nickend zustimmen oder kopfschüttelnd weggehen? Was gäbe es dann für Reaktionen und welche gibt es jetzt?
Aber hatte ich nicht eigentlich über Zugänge zu dem Gehörten nachgedacht? Und zu dem Gesprochenen? Eigentlich weiß ich nicht mal, was Zugang eigentlich heißt. cindy+cate haben jedenfalls einen gefunden, und diese anonymen Menschen auch. Der digitale Raum bietet uns Anonymität, kann uns Anonymität bieten. Dinge, die wir uns sonst nicht zu sagen trauen, werden auf einmal sagbar – zwar nicht von uns, aber immerhin von den Performer*innen. Das hat aber auch seine Grenzen, oder?
Was passiert, wenn da plötzlich schreibend etwas gesagt werden sollte, das aber niemensch aussprechen will?
Lea Terlau
Illustration von Mareike Rabea Knevels